Öffentliches Recht

Kommunalrecht

Der Bürgermeister

Ordnungsruf durch den Bürgermeister - "Das Ermächtigungsgesetz"

Ordnungsruf durch den Bürgermeister - "Das Ermächtigungsgesetz"

23. November 2024

5,0(3.135 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Rat der kreisfreien Stadt Stunkstadt diskutiert die Wiedereinführung einer 3 %-Sperrklausel bei Kommunalwahlen. Ratsmitglied R meldet sich so zu Wort: „Ja, da haben wir ja endlich das wahlpolitische Ermächtigungsgesetz der Altparteien, die vor allem auf die Verteidigung ihrer Pfründe bedacht sind.“ Oberbürgermeisterin B ruft R deshalb zur Ordnung.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Ordnungsruf durch den Bürgermeister - "Das Ermächtigungsgesetz"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B ist durch das jeweilige Kommunalgesetz allgemein berechtigt, R einen Ordnungsruf zu erteilen.

Genau, so ist das!

Der Ordnungsruf ist von der sog. Sitzungsgewalt des Bürgermeisters umfasst (z.B. Art. 53 Abs. 1 GO BY, § 36 Abs. 1 S. 1, S. 2 GemO BW, § 38 Abs. 1 S. 1, S. 2 GemO SN). Die Handhabung der Ordnung ermächtigt zu Ordnungsmaßnahmen gegenüber den Ratsmitgliedern. Die Ausübung des Hausrechts richtet sich hingegen gegen sonstige Personen, insbesondere Zuhörer der Ratssitzung oder Medienvertreter. Diese sogenannte Sitzungsgewalt hat den Zweck, durch die Eindämmung innerer und äußerer Störungen die Funktionsfähigkeit des Rates zu gewährleisten.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Sitzungsgewalt ermächtigt auch zur Abwehr von Störungen Dritter, die nicht im Zusammenhang mit einer Ratssitzung stehen.

Nein, das trifft nicht zu!

Außerhalb von Ratssitzungen übt der Bürgermeister das Hausrecht an den gemeindlichen Verwaltungsgebäuden im Rahmen seiner Annexkompetenz zur allgemeinen Geschäftsleitungsbefugnis aus.

3. Maßnahmen der Sitzungsgewalt der B stellen stets Verwaltungsakte dar.

Nein!

Soweit sich eine Maßnahme gegen Ratsmitglieder richtet, hat sie regelmäßig keine Außenwirkung. Es handelt sich dann allein um eine eine interne sitzungsleitende Maßnahme. Soweit sonstige Dritte betroffen sind, wird in der Regel die Außenwirkung und auch ein Verwaltungsakt vorliegen.

4. Statthafte Rechtsschutzform für ein Vorgehen des R gegen den Ordnungsruf ist die Anfechtungsklage (Art. 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Ordnungsruf hat keine Außenwirkung gegenüber R. Da deshalb kein Verwaltungsakt vorliegt, scheidet die Anfechtungsklage aus. Statthafte Klageart ist vielmehr die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO). Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Ordnungsrufs ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Zusätzlich sind hier die besonderen Voraussetzungen des verwaltungsgerichtlichen Organstreits („Kommunalverfassungstreit“) zu beachten.

5. Zur Ausübung der Sitzungsgewalt wird B Ermessen eingeräumt.

Ja, in der Tat!

Dabei unterliegt er der Bindung an das Rechtsstaatsprinzip, ggf. der Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Art. 1 GG) und damit der sachlichen Neutralität und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Besondere Beachtung muss er der jeweiligen Geschäftsordnung des Rates schenken. In der verwaltungsgerichtlichen Praxis (vgl. § 114 S. 1 VwGO) und in der Klausur ist die pflichtgemäße Ermessensausübung regelmäßig Prüfungsschwerpunkt. Hierbei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die größte Bedeutung zu.

6. Nach landesrechtlichen Regelungen vieler Bundesländer kann der Oberbürgermeister Ratsmitglieder wegen ungebührlicher Äußerungen zur Ordnung rufen. Greift der Ordnungsruf hier in das freie Rederecht des Ratsmitglieds R ein?

Ja!

Eine ungebührliche Äußerung liegt – laut einer Entscheidung des OVG Münster zum Landesrecht NRW – vor, wenn die bloße Provokation im Vordergrund steht oder wo es um die schiere Herabwürdigung anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter geht. Soweit verschiedene Deutungen einer Aussage möglich sind, darf nicht diejenige zugrunde gelegt werden, welche die Ordnungsmaßnahme rechtfertigen würde. Rs Formulierung dürfte als politische Stellungnahme noch vom freien Rederecht der Ratsmitglieder gedeckt sein. Der sachpolitische Bezug könnte sich daraus ergeben, dass R dem Wort „Ermächtigungsgesetz“ das Adjektiv „wahlpolitische“ voranstellte und das Vorhaben der Sperrklausel damit (noch) sachlich kritisieren würde (Rn. 64). Der Begriff „Ermächtigungsgesetz“ bezieht sich auf das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 24.03.1933 (RGBl. I S. 141). Es war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat.

7. Je deutlicher der Ordnungsruf auf den Inhalt der Äußerung (und nicht auf das Verhalten) des Ratsmitglieds reagiert, desto intensiver muss die Ausübung der Sitzungsgewalt kontrolliert werden.

Genau, so ist das!

Es kann ein Spannungsverhältnis zwischen der Sitzungsgewalt und dem freien Rederecht der Ratsmitglieder bestehen. Anlass für die Handhabung der Ordnung ist stets die Störung der Funktionsfähigkeit des Rates. Die Sitzungsgewalt darf nicht zum Instrument der Ausschließung bestimmter inhaltlicher Positionen werden. Weil die Bedeutung des Rederechts für die Demokratie und die Funktionsfähigkeit des Rates berücksichtigt werden muss, gilt: „Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht, je gewichtiger die mit dem Redebeitrag thematisierten Fragen für den Rat und die Öffentlichkeit sind und je intensiver diese politische Auseinandersetzung geführt wird, desto eher müssen konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht zurückstehen.“ (Rn. 59).

8. Bs Ordnungsruf ist rechtmäßig.

Nein, das trifft nicht zu!

Das OVG Münster entschied im diesem Fall zugrunde liegenden Urteil, dass Rs Aussage nicht ungebührlich gewesen sei. Daher lagen die Voraussetzungen für den Ordnungsruf nicht vor. Die Feststellungsklage des R hatte also Erfolg.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen